22. September 2019

„Im kranken System solidarisch bleiben“

Sachsen nach der Wahl – eine Diagnose

Sachsen hat gewählt und die Ergebnisse sprechen – wie erwartet – leider für sich, der Schwarz-Blaue Block hat im Vergleich zur letzten Wahl massiv zugelegt. Jede vierte wählende Person hat ihre Stimme der rechtsextremen AfD gegeben, insgesamt fast 60% für eine rechtskonservative Mehrheit In einem ersten Kommentar zur Wahl, sieht Horst Kahrs (Rosa-Luxemburg-Stiftung) damit einen neuen Zyklus der parlamentarischen Demokratie eingeläutet, „der […] von der Erkenntnis geprägt sein [wird], dass die parlamentarische Existenz dieser Partei von Dauer sein wird und es eine nicht unerhebliche Zahl von Bürgerinnen und Bürgern in dieser Gesellschaft gibt, die die politischen Positionen und den Stil dieser Partei gut heißen, teilen und nicht nur billigend in Kauf nehmen.“ [1]
Ganz gleich, welche der rechnerisch möglichen Konstellation in der nächsten Zeit die Regierungsverantwortung trägt, die CDU wird weiterhin eine*n Ministerpräsident*in stellen. Damit stehen alle Zeichen auf ein selbstgefälliges „Weiter so!“.
Es wird für uns, als Teil einer progressiven Zivilgesellschaft nicht leichter werden. Können wir im „roten“ Leipzig zwar noch im Ansatz auf Unterstützung aus dem Stadtrat bauen, sieht die Situation in Dresden, vielen anderen Städten und vor allem in ländlichen Regionen Sachsens anders aus. Auch ohne offizielle Koalition probt die CDU die Zusammenarbeit mit der AfD im Kleinen. [2] Darauf heißt es jetzt Gegenantworten zu formulieren, die Wut zu kanalisieren und sich für die kommenden Auseinandersetzungen zu wappnen.

Unsere Gegenantwort heißt, die Schaffung einer solidarischen Gesundheitsversorgung in Kombination mit basisnaher Gemeinwesenarbeit und der politische Kampf für eine soziale und gerechte Gesellschaft. Denn Gesundheit ist eine gesamtgesellschaftliche Frage, die uns alle betrifft und welche in Zeiten der Ökonomisierung des Gesundheitssystems, dem Rechtsruck der Politik und einer zunehmenden Schere zwischen arm und reich immer dringender auch als Systemfrage diskutiert werden muss. Mehr denn je entscheidet der soziokulturelle Status darüber, wie gesund Menschen in Deutschland sind. Einflussfaktoren, wie der alltägliche Rassismus und Diskriminierungserfahrungen, sowie Wohnraum, Arbeit, Einkommen etc. haben einen entscheidenden Einfluss auf unsere Gesundheit. So sterben Menschen mit geringerem sozioökonomischem Status in Deutschland noch immer 10 Jahre früher als solche mit hohem. All diese Größen werden sich unter den zu befürchtenden Regierungen eher verschlechtern als verbessern. [vgl. 3-7]

Um eine kontinuierliche Arbeit gewährleisten zu können, sind auch wir, wie viele andere soziale und kulturelle Träger und Initiativen von staatlichen Geldern und Förderungen abhängig, welche je nach Regierungsform deutlich bedroht sind.
Das Ziel von uns und auch anderen Initiativen sollte es sein, unabhängig von Landespolitik zu werden, sodass wir unabhängig von Wahlergebnissen handlungsfähig bleiben. Bereits nach den sächsischen Kommunalwahlen im Mai 2019, in deren Folge die AfD und andere rechte Parteien in viele Stadträte eingezogen sind, sind die finanziellen Förderungen vieler Kulturzentren in Ostdeutschland bedroht. [8] Gerade in Zeiten des politischen Wandels, durch welchen der Sozialstaat zunehmend bedroht ist, müssen wir unseren Teil zu einer solidarischen Gesellschaft beitragen. Wir werden weder unsere politischen Ideale aufgeben noch uns bei den regierenden Parteien anbiedern. Deshalb gilt es, sich unabhängige solidarische, linke Strukturen zu schaffen, auszubauen und zu stärken.

Wirkliche gesundheitliche Chancengleichheit, lässt sich nur durch den tiefgreifenden Wandel hin zu einer solidarischen und gleichberechtigten Gesellschaft realisieren!
In Leipzig soll noch in den nächsten Monaten das erste solidarische Gesundheitszentrum eröffnen, denn nur die stetige Arbeit mit allen Menschen vor Ort kann diesen Wandel ermöglichen. Ganz gleich ob in den Kiezen der Großstädte, den Vierteln der Kleinstädte oder auf dem Land. Eine Verbesserung der Gesundheit aller kann nur erreicht werden, wenn alle krankmachenden Faktoren in unserem System angegangen werden. Dazu gehört es die Stadtteilbewohner*innen in unserem Stadtteilgesundheitszentrum dabei zu unterstützen für ihre Rechte einzustehen, sich zu politisieren und krankmachende Lebensumstände, wie z.B. bedrohten Wohnraum, schlechte Arbeitsbedingungen oder psychische Belastungen zu bearbeiten und Ihnen hierbei Hilfe anzubieten. Darüber hinaus möchten wir den Bewohner*innen dabei helfen sich zu vernetzen und damit einen Teil zu einer sich stärkenden Nachbarschaft beizutragen.

Die Wahl macht deutlich, dass es in naher Zukunft wichtiger denn je ist zusammenzurücken, politische Kämpfe gemeinsam zu kämpfen und sich solidarisch mit anderen Akteur*innen für eine soziale, freie und vielfältige Gesellschaft einzusetzen. Bei #unteilbar in Dresden haben wir bereits gesehen, wie viele wir sind, die nicht kommentarlos dem Rechtsruck zusehen. Jetzt muss diese Arbeit praktisch werden – David Begrich (Miteinander e.V.) kommentierte in einer ersten Einschätzung: „Die entscheidende Auseinandersetzung wird nicht in Leipzig, Dresden, Potsdam oder Rostock geführt. Sie findet in Köthen, Altenburg, Grimma und anderen Kleinstädten statt.“ [9] In diese Auseinandersetzung gilt es nun mehr zu gehen, als zuvor. Politische Arbeit von Stadt und Land muss gerade hier in Sachsen gemeinsam gedacht werden um Perspektiven zu schaffen und gemeinsam gegen jegliche Form von Ausgrenzung und sozialer Ungleichheit zu kämpfen. Als großstädtische Initiativen in Leipzig und Dresden, ist es nicht nur unsere Aufgabe dafür zu sorgen sich auch noch in 5 Jahren im ersten Teil der Einschätzung zu finden, sondern auch Aufgabe, dass die ländlichen Regionen Sachsens nicht vergessen werden, weiter abgehängt und den Rechtspopulisten überlassen werden. Erste Bemühungen, wie die #wwnj-Tour [10] sind hier unserer Meinung nach ein Schritt in die richtige Richtung. Auch wir müssen uns bemühen durch aufgezeigte Perspektiven den Rechtspopulist*innen den Nährboden für ihre Argumente zu nehmen und die lokalen Kämpfe solidarisch zu unterstützen.

Jetzt ist es wichtiger denn je zu zeigen, dass wir auch unabhängig von #unteilbar gemeinsam kämpfen und eine langfristige solidarische Zusammenarbeit anstreben.
In den nächsten wahrscheinlich schweren Jahren unter einer weiterhin rechtskonservativen Mehrheitsregierung muss der Widerstand praktisch werden, denn wir sind nicht alleine.
Unsere z.T. langjährigen Bündnisse und Kooperationen müssen jetzt noch enger zusammenrücken um langfristig Veränderungen an den bestehenden Verhältnissen zu bewirken. Auch wenn dies mühsam wird werden wir entschlossen weiterkämpfen.

Deshalb unser Aufruf: Unterstützt uns, unterstützt eure lokalen Gruppen und Initiativen oder organisiert euch neu!
Ganz gleich ob am Arbeitsplatz, in der Uni, in der Familie oder im Freundeskreis – es ist Zeit nicht länger zu schweigen!
Lasst uns gemeinsam für eine solidarische und freie Gesellschaft kämpfen!
Gegen den stetigen Rechtsruck – in Sachsen und überall!

Poliklinik – Solidarisches Gesundheitszentrum Leipzig e.V. & Gesundheitskollektiv Dresden

Quellen:
[1] https://www.rosalux.de/publikation/id/40926/die-landtagswahlen-in-brandenburg-und-sachsen-2019/
[2] https://twitter.com/johannesgrunert/status/1167509257689935874
[3] Bündnis Krankenhaus statt Fabrik. 2018. Fakten und Argumente zum DRG-System und gegen die Kommerzialisierung des Gesundheitssystems
[4] Bundesärztekammer. 2007. Zunehmende Privatisierung von Krankenhäusern in Deutschland – Folgen für die ärztliche Tätigkeit. Berlin. https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/Privatisierung_Krankenhaeuser_2007.pdf
[5] Lampert, T., Hoebel, J., Kroll, L. E. 2019. Soziale Unterschiede in Deutschland. Journal of Health Monitoring 2019 4(1).
[6] Robert-Koch-Institut Berlin https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsJ/JoHM_01_2019_Soz_Unterschiede_Mortalitaet.pdf?__blob=publicationFile
[7] Marmot, M. G. (2006): Social organization, stress, and health. In: M. G. Marmot ^ Richard G. Wilkinson (Hg.): Social determinants of health. 2nd ed. Oxford, New York: Oxford University Press
[8] https://twitter.com/addnme/status/1167361013412454400
[9] https://twitter.com/wwnj19/status/1168210637769596928
[10] https://wannwennnichtjetzt.org/